Die Vorträge der Referenten haben wir hier für Sie bereitgestellt (für BV-Mitglieder und Teilnehmer)

Am 01.01.2012 wurde der § 116b SGB V neu gefasst und die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) eingeführt – Anlass zu einer Bestandsaufnahme am 1. Februar 2017 in Berlin für unseren Verband. Der Diskussionsbedarf war groß: Über 150 Teilnehmer erschienen zum konstruktiv-kritischen Diskurs mit den zahlreichen Referenten. Dabei ging es erstmalig auch um persönliche Erfahrungen mit der ASV. „Ist das Glas halbvoll oder halbleer?“, wurde zum Leitsatz von Dr. Albrecht Kloepfer, der als Moderator durch die Veranstaltung führte.

Dr. Axel Munte, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands ASV e.V. (BV ASV) zeigte in seiner Begrüßung die Mängel des § 116b SGB V alter Fassung auf, die letztlich zur Einführung der ASV führten.  Neben positiven Errungenschaften (z.B. der intersektoralen Versorgung in der Onkologie) streifte er auch Problemfelder (z.B. das Fehlen einer elektronischen Fallakte), auf die auch andere Referenten im weiteren Verlauf der Veranstaltung detailliert eingingen.

Erste Einblicke in die praktische Umsetzung der ASV lieferten die Ergebnisse einer Studie zur ASV, die vom BV ASV mit der bbw Hochschule Berlin und in Kooperation mit dem Bundesverband Managed Care e.V. (BMC) durchgeführt wurde (www.bv-asv.de/begleitstudie-zur-asv/). Prof. Roger Jaeckel, Leiter der Projektgruppe ASV des BMC, wies besonders auf die regionale Verteilung der ASV-Teams hin und zeigte auf, dass eine bundesweit gleichmäßige Versorgung bislang nicht erreicht werden konnte. Weiter ging er auf die Bewertung der ASV durch die Teamleiter ein.  Einen Zusatznutzen für ihre Patienten sahen 100% der Teamleiter bei den gastrointestinalen Tumoren und 50% der Teamleiter bei der Tuberkulose. Weitere Analysen zur Teamstruktur, zum Anzeige- und Abrechnungsverfahren sowie zur Motivation der Teamleiter wurden von Prof. Christoff Jenschke, bbw Hochschule Berlin, vorgestellt. Er erläuterte, dass 75% der befragten Teamleiter den zeitlichen Aufwand für die Erstellung der Anzeige als zu hoch betrachten. Ebenso wurde das Abrechnungsverfahren von der Mehrheit der Teamleiter als zu aufwendig betrachtet.

Frau Anna Maria Raskop, Kassenärztliche Bundesvereinigung, erläutert aus Sicht der niedergelassenen Ärzte die vorhandenen Ängste und die Demotivation der Ärzteschaft. So gäbe es neben der ASV bereits sehr gute strukturschaffende Regelungen, wie z.B. die Onkologie-Vereinbarung, so dass eine Teilnahme für niedergelassene Onkologen nur bedingt interessant sei. Eine weitere Hürde sehe sie in der komplizierten übergangsweisen Vergütung anhand des EBM und der noch nicht absehbaren Schaffung einer eigenen ASV-DRG. Trotz negativer Aspekte zog Frau Raskop ein positives Fazit: „Die Strukturen wurden geschaffen, die Routine setzt ein, aber es hat lange gedauert. Ärzte und Kliniken sollte die Chance für einen fairen Wettbewerb nutzen!“.

Kaum Positives ließ Herr Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutsche Krankenhausgesellschaft, an der ASV. Für die Krankenhausärzte sei es wenig reizvoll, in die ASV einzusteigen. So sei z.B. das Vorhalten aller im Appendix der Konkretisierungen enthaltenen Leistungen nicht immer gerechtfertigt. Die Nachweispflicht der Krankenhausärzte bei den Erweiterten Landesausschüssen (ELA) sei schlichtweg lächerlich, monierte Baum. Ebenso hielt er eine namentliche Nennung der Teammitglieder im Anzeigeverfahren für unangebracht, da dies nur zu unnützem bürokratischen Aufwand führe. Baum forderte einen dauerhaften Bestandsschutz der Krankenhäuser mit Zulassung nach § 116b alter Fassung: Für die Tausenden an Patienten, die bisher im Rahmen der ambulanten Versorgung am Krankenhaus behandelt wurden, sei die ASV mit ihren bürokratischen Hürden unverantwortlich.

Dr. Wulf-Dietrich Leber

Dr. Wulf-Dietrich Leber

Humorvoll brachte Herr Dr. Wulf-Dietrich Leber vom GKV Spitzenverband die Problemkinder der ASV aus Sicht der Krankenkassen auf den Punkt. Er war sehr spontan für den erkrankten Franz Knieps vom BKK-Dachverband e.V. eingesprungen. Mindestmengen, augenscheinlich willkürlich entstanden, und Uneinigkeiten der Bänke beim Facharztstandard bzw. -status seien nur zwei von zahlreichen Konfliktfeldern in den Diskussionen der Gremien. Tagesaktuelle Gemengelagen spielten dabei durchaus eine Rolle bei der Festlegung wichtiger Punkte wie der Besetzung der interdisziplinären Teams. Besonders die (zu hohen) Mindestmengen wurden im Verlauf der Veranstaltung wiederholt thematisiert. „Die Fallzahlen passen nicht zu den Angaben in den Konkretisierungen“ echauffierte sich Dr. Abenhardt, Stellvertretender Vorsitzender des BV ASV. Trotz Lebers kritischer Vorbehalte gegenüber der ASV, die er zynisch als „KBV-Ausdeckelungsstrategie“ bezeichnete, gelang es ihm, das Publikum mit seinem trockenen Humor gekonnt in seinen Bann zu ziehen.

Nicht nur die Vertreter der drei Bänke beäugten die ASV mehr als kritisch. Auch Frau Renate Pfeiffer, Sprecherin der Patientenvertretung im Unterausschuss ASV des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) und Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE, thematisierte Problemfelder. Patienten fehle der Zugang zu adäquaten Informationen, bislang sei noch keine Neuaufnahme von Erkrankungen jenseits der Krankheitsbilder im § 116b erfolgt und die Anpassungen der Konkretisierungen nehmen zu viel Zeit in Anspruch.

Dr. Jens Ino Kirchner

Dr. Jens Ino Kirchner

„Von den Theoretikern zu den Pragmatikern“ – diesen Eindruck zogen viele Teilnehmer im zweiten Teil der Veranstaltung. Denn einen deutlich positiveren Eindruck hinterließen die Teamleiter bereits bestehender ASV-Teams. So zeigte das Team um Herrn Dr. Jens Ino Kirchner aus dem Krankenhaus Walsrode, wie die ASV zur Lösung bestehender Versorgungsprobleme in ländlichen Regionen beitragen kann. Das flächenmäßig ausgedehnte ASV-Team löse ein regionales Versorgungsproblem und nutze – so Kirchner – moderne Technologien wie eine Online-Tumorkonferenz zur Überwindung der Entfernungen in einem Flächenland. Für eine einheitliche Dokumentation verwende das Team bereits eine standardisierte Ambulanzkarte mit sehr guten Erfahrungen. Herr Dr. Kirchner ist Leiter eines ASV Teams zur Indikation gastrointestinale Tumoren.

Das Team um Herrn Dr. Alexander Stein, Teamleiter für gastrointestinale Tumoren des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, wird seine ersten ASV-Patienten voraussichtlich im April 2017 behandeln.  Im Gegensatz zu Herrn Dr. Kirchner, der durchweg positiv von der Zusammenarbeit mit dem ELA berichtete, bemängelte Herr Dr. Stein die aufwendige und langwierige Anzeigeprozedur. Wie auch sein Kollege betonte er jedoch die optimale intersektorale Vernetzung als Dreh- und Angelpunkt der ASV.

Für die ASV Teams im Bereich Tuberkulose ist die intersektorale Zusammenarbeit per gesetzlicher Vorgabe nicht verpflichtend – ein Defizit, fand Herr Dr. Frank Heimann, Teamleiter des Tuberkulose-Teams Ambulante Pneumologie mit Allergiezentrum Stuttgart. Er bemängelte die umfassenden Vorgaben des GBA und plädierte für verschlankte Organisations-Anforderungen, z.B. Flexibilität bei den Hinzuzuziehenden Ärzten. Grundsätzlich bewertete Heimann die ASV als sinnvolle Versorgungsform, sah jedoch andere Lungenerkrankungen wie die Sarkoidose als sinnvoller an als die Tuberkulose.

Dr. Ludwig Kalthoff

Dr. Ludwig Kalthoff

Im Dezember 2016 hatte der GBA die Rheumatologie als nächste Indikation im Bereich der „komplexen“ Erkrankungen beschlossen. Herr Dr. Ludwig Kalthoff, Vorsitzender des Bundesvorstands Berufsverband Deutscher Rheumatologen e.V., stellte Details der Konkretisierung vor (derzeit noch nicht in Kraft) und verbreitete Optimismus, dass die ASV dazu beitrage, die „Ressource Rheumatologe“ besser zu nutzen.

Der ASV eile der Ruf des bürokratischen Monsters voraus, v.a. aufgrund des aufwändigen Anzeigeverfahrens – Herr Norbert Lettau vom ELA Hamburg veranschaulichte dies mit Praxisbeispielen. Derzeit gäbe es 17 ELAs, alle jedoch mit unterschiedlicher Verwaltungspraxis. Die neuartigen gesetzlichen Vorgaben – leider nicht vollständig durchdekliniert – führten zu einer Fülle verfahrensrechtlicher Schwierigkeiten, die noch nicht gänzlich gelöst seien.

Abschließend knüpfte Frau Dr. Regina Klakow-Franck als unparteiisches Mitglied des GBA an die Worte Muntes an: Aus Patientensicht sei die alte Fassung § 116b aufgrund der immensen regionalen Unterschiede inakzeptabel gewesen. Ein Bestandschutz der Krankenhäuser mit Alt-Zulassung sei daher auch nicht sinnvoll. Klakow-Franck stellte den aktuellen Beschlussstand des GBAs vor: Die bestehende Priorisierungsliste wurde abgeändert, so dass nun im Bereich der Erkrankungen mit komplexem Krankheitsverlauf die urologischen Tumoren anstelle der Herzinsuffizienz konkretisiert würden. Von einer en-bloc Bearbeitung der onkologischen Erkrankungen erhoffe sie sich Synergieeffekte. Im Laufe der Veranstaltung wurde des Öfteren die Forderung nach Aufnahme weiterer Erkrankungen (z.B. chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen) in den ASV-Katalog laut. Frau Dr. Klakow-Franck bedauerte, dass sich der GBA mit seiner veralteten Verfahrensordnung hier noch selbst im Wege stehe. Nach einer Überholung dieser Regularien könne und werde der GBA sich dieser Fragen widmen.

Als Fazit nach fünf Jahren ASV lässt sich nach lebhaften Diskussionen festhalten: Die Grundzüge der ASV sind zukunftsweisend; anhand ständiger Vorgabenänderungen fehlt es jedoch an Glaubwürdigkeit, was zu verhältnismäßig geringen Umsetzungszahlen führt. Positive Berichte bereits bestehender ASV-Teams zeigen jedoch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Auf die Frage von Herrn Munte an das Publikum: Wer ist hier eigentlich Optimist oder Realist, antwortete die Mehrheit: Optimist!  

Das Symposium fand mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG, der Novartis Pharma GmbH sowie der Bristol-Myers Squibb GmbH & Co.KgaA statt.